Social Media oder was VICE noch nicht weiß

Alexander Trust, den 15. November 2013
Twitter Fail-Whale
Twitter Fail-Whale

Das Magazin Vice hat sich in einem Beitrag online über Social Media Manager lustig gemacht, allerdings auf eine Weise, die mehr einem virtuellen Sich-in-die-Nesseln-setzen gleicht.

Die Fluggesellschaft KLM, der Online-Lieferservice Lieferheld, DOVE, Nokia und viele weitere Firmen bekommen im Beitrag vom „Vice Staff“ ihr Fett weg. Wofür? Nun, für mehr oder weniger gelungenes „Social Media“-Management. Allerdings ist die Kritik, die Vice sehr direkt äußert, weil sie die Personen hinter den Tweets und Timeline-Einträgen als „Vollidioten“ brandmarkt, selbst auf äußerst dünnem Eis unterwegs.

Niveaudiskussion

Die Fluglinie KLM Middle East hat auf Twitter mal ein „Quiz“ veranstaltet, das profan Galgenmännchen heißt. Für je 20 Likes würde man einen weiteren Buchstaben eines Worts aufdecken, das man anfänglich mit _O_D_N entstellt hat. Gesucht war London und der Anspruch an die Lösung dieser Aufgabe ist natürlich gering.

Gleiches gilt wohl für eine Nahaufnahme von einem Hund, die von Nokia Australien via Twitter gepostet wurde. Man wollte mit dem Bild einerseits für die Zoom-Funktion der eigenen Lumia-Smartphones werben, andererseits eine Reihe fortsetzen. Denn scheinbar hat man davor und danach noch einige Zoom-Fotos im wöchentlich Rhytmus veröffentlicht.

Beteiligung

Bei KLM und Nokia stört sich die Redaktion von Vice am Niveau der Werbeaussage. – Nun muss ich vorsichtig sein, wollte ich fragen: Gibt es niveauvolles Fernsehen? Und warum stelle ich diese Frage an dieser Stelle? – Wenn man RTL2 und Co. medial als Unterschichten-Fernsehen anprangert, dann sind doch die Gewinnspiele bei Samstagabend-Shows oder in Sportsendungen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nach demselben Muster gestrickt und sie sind in ihrer „Einfachheit“ nicht weit weg von den Social-Media-Beiträgen von KLM und Nokia. Ganz gleich ob der Anbieter dem Vernehmen nach zur Unterschicht (RTL2, 9Live) oder dem Bürgertum (ARD, ZDF, KLM, Nokia) passt. Einige Zuseher haben sich sicherlich schon geärgert, wie einfach doch solche Fragen bei den Gewinnspielen sind. Der Grund warum sie ist es sind, ist, dass möglichst viele Leute partizipieren. Es ist derselbe Grund, warum viele Social Media Manager nicht höchst anspruchsvolle Aufgaben twittern oder bei Facebook und G+ zum Besten geben. Denn bei Social Media kommt es unter dem Strich vor allem auf die Beteiligung an. Je mehr Multiplikatoren man hat, desto besser. Das Wie ist eigentlich egal. Ehssan Dariani und Co. hätten und haben vielleicht mit ihrer Zielgruppe damals zur StudiVZ-Gründung sogar Komasaufen gemacht. Die öffentliche Kritik hat das anfängliche Wachstum des Social Network zu keiner Zeit gefährdet. Kein Don Alphonso und auch kein Rainer Meyer konnten den Aufstieg des StudiVZ aufhalten. Der tiefe Fall indes hat mit ganz anderen Stellschrauben zu tun.

Wie doof kann man sein?

Doch kommen wir zurück zu den Vollidioten, die Vice brandmarken möchte. Für die Pflegemarke DOVE Men+Care wollte man 5000 Likes auf Facebook erhaschen, und zwar für ein Foto mit einem Kürbis darauf. Vor den Kürbis hat ein Mitarbeiter einen Zettel gehalten, auf dem Stand: Wenn dieser Beitrag 5000 Likes erhält, dann machen wir Matsch aus dem Kürbis. Allerhöchstens moralisch verwerflich ist die Aufforderung, wenn man meint, dass man mit Lebensmitteln nicht spielen soll.

Vice selbst aber hat in seinem Beitrag lediglich Dinge an den Pranger gestellt und nicht hinterfragt. Gerade beim Kürbis-Beispiel von DOVE schreibt die Redaktion:

„Nein, ich weiß nicht, ob sie ihre 5.000 Likes gekriegt haben, aber ich fürchte, ja.“
Vice

Der Leser bei Vice kann leider auch nicht wissen, ob die 5000 Likes erzielt wurden oder nicht. Denn außer Screenshots und Häme in Wörtern hat Vice leider keine Quell-Links hinzugefügt, die zu den entsprechenden Social-Media-Beiträgen führen würden.
Ich habe auf Facebook und mit Hilfe von Suchmaschinen einige Zeit nach dem Bild mit dem Kürbis bei DOVE Men+Care gesucht, es allerdings nicht gefunden. Eventuell wurde das Bild wieder herausgenommen, denn folgt man der Angabe von Vice zu Condescending Corporate Brand Facebook (CCBFP) Page, wo der Kürbis zuerst an den Pranger gestellt wurde, müsste das Bild Anfang November oder Ende Oktober bei DOVE Men+Care veröffentlicht worden sein. Zu diesem Zeitpunkt finde ich den Kürbis aber nicht wieder.

Vom Erbesenzählen aber abgesehen: Tragisch ist doch, dass die Redaktion von Vice nicht versucht ihre Aussagen zu überprüfen. Denn Social Media Marketing kann so albern und sinnfrei sein wie es will, wenn das Ziel erreicht wird, hat das SMM seinen Zweck erfüllt. Und natürlich gibt es weltweit nur eine verschwindend geringe Anzahl von exklusiven Marken aus speziellen Umfeldern, die sich solche Aktionen tatsächlich nicht leisten können. Das würden dann aber auch die Social Media Manager ratzfatz merken, wenn ihnen die Kunden Contra gäben. Doch solange die Kunden mitmachen und man die Multiplikatoren erzielt, ist alles bestens. Erst wenn den Kunden langweilig wird, muss man die Methoden anpassen. As simple as that. In der öffentlichen Wahrnehmung wird wegen der Kürbis-Aktion DOVE Men+Care nicht anders wahrgenommen als davor. Den Kommentaren bei CCBFP war zu entnehmen, dass die DOVE-Aktion noch am selben Tag mindestens über 4600 Likes hatte.

Einfallslos

Was aber Vice den Social Media Managern vorwirft, nämlich einfallslos zu sein, das bekommt die Redaktion selbst prima hin. Denn der Beitrag „Warum sind Social Media Manager solche Vollidioten?“ ist nur eine plumpe Übersetzung der US-Version, deren Beitrag Mark Duffy unter dem Titel „Why Are So Many Social Media Managers Dipshits?“ herausbrachte. Weil dort genügend Leser den Like-Button geklickt haben, lief die Traduktionsmaschine warm. Das zeugt vor allem davon, dass die deutsche Redaktion „wenig kreativ“ ist, um sie selbst in anderem Kontext zu zitieren.


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