Vom Essen – Udo Pollmers Thesen vorgestellt

Alexander Trust, den 10. Mai 2007
Lachs mit Gemüse
Lachs mit Gemüse, Bild: CC0

Deutschland wird fettleibig. Wir sind Deutschland. Also haben wir ein Problem? Mein BMI zeigt an, ich hätte Normalgewicht, Unterkante. Udo Pollmer war gestern bei Menschen bei Maischberger eingeladen. Der Titel der Sendung lautete: “Dick oder Dünn – Glaubenskrieg ums Essen“.

Pollmer wurde auf den Internetseiten des Ersten angekündigt als ein streitbarer Ernährungswissenschaftler und Bestsellerautor. Er vertrat eine Position, die mir persönlich recht plausibel vorkam. Plausibilität ist ja nicht immer gleich zu setzen mit Wahrheit, auch wenn unsere Gesellschaft so sehr darauf getrimmt ist, alles, was plausibel scheint, für bare Münze zu nehmen.

Der Körper stellt automatisch ein Gleichgewicht her

Vollmer hat mit Sicherheit einige Bücher geschrieben, doch die Recherche im Netz reicht aus, um einige seiner zentralen Argumente zusammen zu tragen. Am 6. Dezember 2005 erscheint in der Welt ein Interview mit Pollmer unter dem Titel “Der Körper holt es sich“. Zentrales Anliegen an dieser Stelle: Unser Körper reguliert unsere Nahrungszufuhr weitgehend automatisch auf einem Niveau, das für ihn gesund ist. Fett sei ein Langzeit-Engergiespender, so erfahren wir indirekt aus Pollmers Aussagen. Da die Anforderungen an die Individuen in einer Informationsgesellschaft jedoch andere seien, als noch zu Zeiten seiner Großmutter, habe man im Kontext eines Weniger an Bewegung die Interpretation vorgenommen, Fett sei ungesund. Wir meiden Fett, und trotzdem benötigt unser Körper es in gewissen Mengen und die holt er sich auch.

“[…] Trotzdem haben wir einen Bedarf an Fett, auch wenn der Zeitgeist die Fettaugen auf der Suppe ausmerzen will. Doch unser Körper holt sich schon, was er will. Wer fettbewußt zur Halbfettbutter greift, ißt zum Ausgleich Croissants. Werden die verteufelt, kaufen wir eben Ciabatta-Brote. Da ist dann reichlich Olivenöl drin.”
Welt-Online, 06.05.2005

Der Körper sorge für ein inneres stoffliches Gleichgewicht, so Pollmer weiter, und unser Geschmack sei in diesem Fall der Maßstab.

“[…] Unser Geschmack ist keine böse Laune der Natur, er hat einen evolutionären Sinn. Freude am Essen ist überlebensnotwendig. Wenn wir unserer Natur entsprechend handeln, empfinden wir Freude, wie bei der Sexualität. Aber wir wittern hinter jedem Genuß Fallstricke des Teufels.”
ebd.

Christliche Wertvorstellungen bedingen negative Einflüsse

Angesprochen auf die Gründe für diesen Sinneswandel, gibt Pollmer zu verstehen, dass der Wandel von der antiken Religion hin zum Christentum diese Veränderungen gezeitigt hätte. Ähnlich wie in der Politik die Opposition, selbst wenn sie gleicher Meinung sein könnte in einer Frage mit der Koalition, nur deswegen opponiert, um sich abzugrenzen – eben deshalb opponierte die christliche Religion offenbar gegenüber der antiken polytheistischen Religion.

“Das christliche Denken nahm uns die Freude am Körper. Das Christentum kämpfte lange gegen antike Religionen, die das Wirken des Schöpfers nicht nur im Geistigen, sondern auch im Körperlichen sahen. Es forderte zum Sieg des Geistes über das böse Fleisch auf, über den eigenen Körper, die Sexualität, den Appetit…”
ebd.

Nieder also mit dem Christentum?! So einfach ist es natürlich nicht. Gleichwie ist dies ein Argument für Atheisten und andere, die dem Christentum abgeneigt sind. Ein Schelm würde die Verhältnisse von Normal- zu Übergewichtigen auf der Welt anschauen und sie mit der jeweilig vorherrschenden Religion in Relation bringen. Ein Argument Pollmers nämlich ist, dass die Psyche sehr viel Einfluss auf unser Dicksein hat und eben nicht die Ernährung. Moralische und ethische Hemmnisse, die einen Druck erzeugen, wirken sich negativ auf unser Gewicht aus.

Die Lüge(n) über BSE und Acrylamid

BSE hätten britische Rinder offenbar nicht deshalb bekommen, weil der Mensch sie künstlich zu Kannibalen machte. Vielmehr wäre die Krankheit einiger weniger Rinder, dessen Hirne man zu Wachstumspräparaten in Tierfutter umarbeitete der verheerende Fehler in der Kette gewesen. Rinder sind nicht, wie wir glauben gemacht werden, von Natur aus Vegetarier. Deshalb sei der voreilige Schluss, BSE sei durch das Verfüttern der Artgenossen entstanden, auf den ersten Blick schon als unzureichend durchschaubar. Der Welt-Redakteur insistiert: “Die Mehrheit der Wissenschaftler sieht aber das Futter aus arteigenen Hirnen als Ursache.” Doch Pollmer hält dementgegen:

“Mit Hirn hat die britische Epidemie schon was zu tun, aber etwas anders als gedacht: Die Briten haben aus Rinderhirnen Wachstumshormone gewonnen und ihren Herden gespritzt, über Jahrzehnte. Da brauchen Sie nur eine einzige kranke Charge, und Sie infizieren Hunderte von Tieren. Wenn das ein paar Mal recycelt wird, bekommen Sie eine Epidemie. Das ist unstrittig. Wie eine Übertragung auf diesem Wege möglich ist, wurde tragischerweise am Menschen gezeigt: In Frankreich wurden in den neunziger Jahren – also parallel zur BSE-Krise – zwergwüchsige Kinder mit menschlichen Hypophysenextrakten behandelt. Dutzende von denen starben an Creutzfeld-Jacob.”
ebd.

Die Debatte um Acrylamid entschärft Pollmer analog:

“Bis heute liegen drei Studien am Menschen vor, die sich der Krebsgefahr durch Acrylamid im Essen widmeten. In keiner fand man ein erhöhtes Risiko, einmal sank sogar die Darmkrebsrate. Das hängt damit zusammen, daß es einen Unterschied macht, ob ich einer Käfigratte gezielt eine hohe Dosis Acrylamid verpasse oder ob jemand Pommes ißt. Lebensmittel bestehen aus vielerlei Stoffen, alle mit unterschiedlichen Wirkungen. Gerade beim Fritieren entstehen Röststoffe, die Krebs blockieren. Wenn jetzt mit weniger Hitze fritiert wird, entsteht zwar etwas weniger Acrylamid als zuvor, aber auch deutlich weniger Schutzstoffe. Das Risiko steigt damit. Wir sollten unsere Nahrung, unsere Gerichte als Ganzes betrachten – als sinnvolle Einheit, die sich über Jahrtausende herausgebildet hat…”
ebd.

Exkurs: Lohnt ein Kauf von Pollmers “Bestsellern”?

Erstaunlich, was ein einziges Interview an Thesen hergibt. Wer da noch ein Buch Pollmers kauft, ist selbst Schuld.  Ernsthaft: Diejenigen, die mit einer Informationstiefe, wie ich sie an dieser Stelle aufbereite, zufrieden ist, für den lohnt es bald nicht mehr, Pollmers “Bestseller” zu kaufen.

Ich spreche aus Erfahrung, habe ich in den Bereichen Mnemonik, Schnelllen, Sprachenlernen und so fort ähnliche Eindrücke gesammelt. Immer ließen sich die „Argumente“ der „Bestseller“ schon an anderer Stelle nachlesen. Wem diese plausibel erscheinen, der kann sich mit den Literaturverweisen auf etwaige Studien in den Büchern von Pollmer auseinandersetzen.

Es gibt keine Patentrezepte im Bereich der Ernährung

Weil’s so schön ist, lasse ich Pollmer selbst zu Wort kommen:

“[…] Der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), Volker Pudel, meinte einmal, es käme ihm so vor, als hätten Jahrzehnte Beratung nur eines erreicht: Die Menschen äßen, was sie immer gegessen haben, aber jetzt mit schlechtem Gewissen. Wie kann man nur auf die Idee kommt (sic!), es gäbe eine ‘gesunde Ernährung für alle’? Es empfiehlt ja auch kein Schuster der Menschheit die ‘ideale Schuhgröße’. Menschen gibt es in vielen Formen, Farben und Größen. Was dem einen bekommt, schadet dem nächsten. Deshalb haben wir unterschiedliche Vorlieben. Auch dies ist evolutionsbiologisch zu erklären: Kein Lebewesen wird gern gefressen. Da Pflanzen nicht davonrennen können, wehren sie sich mit Abwehrstoffen oder Giften. Um der chemischen Phantasie der Pflanzen gewachsen zu sein, verfügt jeder Mensch über eine andere Kombination von Entgiftungsenyzmen. Wir müssen unterschiedlich sein”.
ebd.

Die Differenzierung von gesunden und ungesunden Nahrungsmitteln lehnt Pollmer zudem ab. Zumindest nach dem jetzigen Stand der Forschung muss er dies tun, und so wird indirekt seine Argumentation begründet. Es gibt offensichtlich im Bereich der Ernährungswissenschaft keine oder wenig Erkenntnisse und kaum nennenswerte statistische Zusammenhänge zwischen diversen Nahrungsmitteln und ihrer Wirkung auf den menschlichen Körper. Ob Obst und Gemüse gesund seien, oder nachweislich vor diversen Krankheiten schützen könnten – in dieser Frage musste selbst die wissenschaftliche Begründung einer Kampagne der Deutschen Gesellschaft für Ernährung passen. Pollmer gibt sie dem Interviewer der Welt an: “Einen unmittelbaren Nachweis, daß eine Intervention mit Gemüse und Obst das Risiko für Krebs oder auch andere chronische Erkrankungen senkt, gibt es derzeitig nicht.

Pardon: Fresst Scheiße!

Auf die Frage, was Pollmer als gesunde Ernährung ansieht, antwortet dieser wie folgt:

 

“Goutieren Sie doch mal die offiziellen Ratschläge. Die empfehlen eine Kost, die kalorien-, zucker- und fettarm ist, dafür viele Ballaststoffe und Vitamine, sowie hochwertiges Eiweiß enthält. Es gibt ein Produkt, daß diesen Ansprüchen in jeder Hinsicht gerecht wird: Es ist exakt das, was wir jeden Morgen auf der Toilette hinterlassen. Die genannten guten Gaben verdanken wir der ausgeschiedenen Darmflora. Mahlzeit!”
ebd.

Ich hab ehrlich gesagt nicht gewusst, dass der menschliche Kot voll von angeblich gesunden Stoffen ist. Wieder was gelernt.

Unsere Psyche macht uns dick, nicht unsere Ernährung

Das scheint das zentrale Anliegen von Pollmer zu sein, das er überall kommuniziert. Offenbar gibt es in der Wissenschaft mehr Zusammenhänge, die von der Psyche zum Übergewicht führen, als von Lebensmitteln zu Ebenjenem. Im März des Vorjahres gibt Pollmer der ap-Korrespondentin Mirjam Mohr ein Interview das auf den Online-Seiten von 3SAT im Kontext der Sendung “Nano” veröffentlicht wird. Im Titel wird Pollmer mit einer Aussage zitiert: “Wer Angst vorm Essen hat, wird fetter”. Dick sein, so der Einstieg des Interviews, sei Definitionssache, so wie Männlichkeit und viele andere Dinge im Übrigen auch. Die derzeitige Definition eines Schönheitsideals führt nach Pollmer dazu, dass Dünne sich tot hungerten und Dicke zudem einem psychischen Druck ausgesetzt würden, der ihrem Gewicht nicht zuträglich sei. Und noch ein Mal auf die Regulierung zurückgekommen: Wie funktioniert sie eigentlich, oder was bedeutet das für unseren Körper?

“Das bedeutet, dass der Körper kein Fass ist, in das man etwas reinfüllt oder durch Bewegung etwas entnimmt. Er hat für alles eine innere Regulation, hier den ‘Ponderostat’, der das Gewicht regelt. Genau so wie bei einem Haus der Thermostat für eine konstante Temperatur sorgt. Wenn er auf 28 Grad steht, nutzt es nichts, den Heizöltank nur halb voll zu machen oder zur kalorischen Verdünnung Steine reinzuwerfen. Es hilft auf Dauer auch nichts, die Fenster aufzureißen – dadurch steigt nur die Heizölrechnung. Genau so wird das Körpergewicht nicht über den Kühlschrank geregelt, sondern über hormonelle Systeme, die nach biologischen Gesetzen arbeiten – auch dann, wenn sie Ihr Arzt noch nicht kennt.”
3SAT, 13.03.2006

Glaubt nicht alles, was euch erzählt wird

So lautet ebenfalls ein Credo von Udo Pollmer. Das ZDF befragte ihn im Kontext von Fleisch- und Lebensmittelskandalen, und Pollmer gab an, dass ihm seine Weißwurst nachwievor schmecke und er den Verbrauchen vor allem rate, sich keinen Bären aufbinden zu lassen. Die Politik würde vor allem wegen der Wirtschaftlichkeit des Lebensmittelmarktes vor zu starker Intervention lieber eine Politik der ruhigen Hand betreiben. Als Lebensmittelchemiker wisse er zudem, was in diesem und jenem Lebensmittel drin sei oder dessen Rezeptur (siehe Bratwurst) ausmache. Würden die Verbraucher das wissen, würden sie wahrscheinlich unheimlich viele Lebensmittel nicht mehr zu sich nehmen. Pollmer jedoch findet dies in vielen Fällen unbedenklich. Zudem könnte er auch Geschichten über Rohkost erzählen. Und was kann der Verbraucher tun?

“Nicht mehr den Mist glauben, der ihm jeden Tag erzählt wird von wegen höchster Lebensmittelqualität und einer Verwaltung, die das alles sauber kontrolliert. Mir ist vollkommen klar, dass man für einen bestimmten Preis eine bestimmte Ware nicht anbieten kann. Aber im Umkehrschluss lässt sich auch nicht sagen, dass teurer immer besser ist. Da kann billig besser sein, weil die billigen Preise zum Teil – wie Fachleute sagen – durch “Bescheißereien” im oberen Preissegment finanziert werden. Die heutigen Preise spiegeln nicht mehr den Warenwert wider, es sind Marktpreise.”
ZDF, 26.11.2005

Dass in der Lebensmittelbranche getrickst wird, und wie, das hatte Udo Pollmer bereits 2002 in der Sendung Fakt im MDR zum Besten gegeben. Auch hierüber liegt ein Interview vor. Dies bekräftigt die Position, dass der Verbraucher besser beraten ist, nicht zu glauben, was von offizieller Seite aber auch von Seiten der Industrie kommuniziert wird.

Noch mehr Pollmer

Sport ist gesund? – Mitnichten. Udo Pollmer zweifelt beispielsweise auch an, dass durch Sport die Herzgesundheit nachweislich gefördert wird. Ein guter Freund von mir wird bestätigen können, dass ich selbst manchmal diese These vorgebracht habe, ohne vorher von Pollmer zu wissen, und eben in einem anderen Kontext. Ich gehe nämlich davon aus, dass sportliche Betätigung nicht in “jedem” Fall gesund sein muss. Angenommen jemand betreibt Sport, sein Körper schüttet irgendwelche Stoffe aus, die dieser jedoch nicht in der Lage ist zu verarbeiten, bzw. deren Produktion und gestörter Abbau gesundheitlich Schäden nach sich ziehen würden. Was dann?! Eine WDR-Sendung, Q21, ging der Frage nach: Wie gesund ist Sport wirklich. Mit von der Partie auf der “Spurensuche im Healthland“, Udo Pollmer. Sogar ein Sportmediziner argumentiert nicht gegen Pollmer, gibt er doch zu verstehen, dass Bewegung zwar notwendig ist, Sport aber nicht unbedingt!

Wer sich indes über die populärsten Ernährungsirrtümer nach Pollmer informieren möchte, findet sie an dieser Stelle: Auf der Informationsseite zur WDR5 Radiosendung LebensArt. Der Titel der Sendung vom 29. Dezember 2004 lautete “Fett macht krank… und andere Ernährungsirrtümer“. Die Ernährungsirrtümer im Schnelldurchlauf: Frischer Spinat enthält gar nicht so viel Eisen; Margarine ist nicht unbedingt gesünder als Butter; Vitamin C hilft nicht gar so viel bei Erkältung; Kaffee ist nicht nachweislich ungesund; Kopfsalat ist nicht wirklich wertvoll; natürliche Aromen kommen (in Deutschland und anderswo) nicht zwingend von der Frucht; brauner Zucker ist nicht besser als weißer; Obst ist kein unverzichtbares Lebensmittel; Eier erhöhen nicht nachweislich den Cholesterinspiegel oder das Infarktrisiko. Ach ja, und Hamburger sind besser als ihr Ruf.

Weitere Verweise:

Die Liste wäre zumindest noch mit diversen Links erweiterbar. Wer selbst jetzt noch nicht genug von Pollmer hat, der möge bitte nach “Udo Pollmer” googeln und ab Ergebnisseite 5 mit dem Auswerten der Suchergebnisse fortfahren. Viel Spaß, wie Maybritt Illner immer meint, beim Vermehren der gewonnenen Einsichten.


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