Facebook: andere zum Legostein machen

Alexander Trust, den 31. Mai 2007
Legosteine
Legosteine, Bild: CC0

Man könnte ebenso formulieren: andere zum Legostein werden lassen. Der Unterschied in der Formulierung drückt eine Differenz in der Perspektive aus. Inspiriert wurden die folgenden Ausführungen von einem Beitrag auf Blog Age. Denn dort erinnert sich Peter Schink an die Worte von Plazes-Gründer Felix Petersen im Jahr 1995. Dieser gab damals zu verstehen, dass neue Internetseiten wie Legosteine funktionieren müssten.

In der letzten Woche gab nun Facebook-Gründer Mark Zuckerberg in San Francisco eine Pressekonferenz vor 700-800 Interessierten (unterschiedliche Medien und selbst die Facebookseite, der Facebookblog, sowie die offizielle Pressemitteilung sind sich uneins). Seitdem weiß die Welt, Facebook öffnet seine Tore für Entwickler. Schink hält das amerikanische Studentennetzwerk deshalb für einen Legostein, im Sinne Petersens.

Zunächst könnte man denken, das stimmt. Doch, was ist mit dem Bild vom Legostein überhaupt gemeint?

[…] neue Internetseiten müssten funktionieren wie Legosteine – ineinandergreifen und gemeinsam dem Nutzer viel mehr bieten als im Alleingang. Plazes war einer der Dienste, der schon von Beginn an auf eine offene Schnittstelle, eine so genannte API setzte.
Blog Age

Es gibt in der Tat unheimlich viele Internetangebote, die ein API anbieten. Ein Application Programming Interface, zu Deutsch: eine Programmierschnittstelle von der eigenen Software in die restliche Welt. Google, Ebay, Amazon, Flickr, YouTube – allesamt bieten Sie APIs an. Und wie Legosteine werden ihre Dienste auf anderen Seiten verfügbar gemacht. Plugins für WordPress zum Beispiel, die den Artikelstandort des Bloggers mithilfe von Google Maps anzeigen, u. v. m. – Wie verhält es sich nun mit Facebook?

 

Das soziale Netzwerk Facebook hat seine Entwicklerplattform f8 vorgestellt, mit der künftig jeder Anwendungen in die Studentenseite integrieren kann. […]
Golem

Facebook ermöglicht es für das Netzwerk Applikationen zu entwickeln, so genannte Widgets. Ein API in Verbindung mit einer facebookeigenen Markuplanguage soll es ermöglichen, für das System kleine oder sogar große, umfassende Anwendungen zu entwickeln. Ich fühle mich an die Zeiten zurück erinnert, da ich in den 1990ern ehrenamtlich für AOL gearbeitet habe und im System mit der AOL-eigenen Markuplanguage “Rainman” Foreninhalte im damals noch proprietären AOL-System betreut habe. Hätten die Amerikaner nicht den Daumen drauf gehalten, hätte man so unheimlich viel damit anstellen können. Doch alles musste “abgesegnet” werden. Man wollte sich ja das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Sehr hierarchisch das Ganze. Ob das bei Facebook nun auch so wird? Quasi so wie bei Premiere und diversen PayTV-Anbietern, die den Receiverherstellern erst zertifizieren müssen, dass ihre Geräte und Anwendungen mit dem System problemlos interagieren?! Das jedoch scheint Mark Zuckerberg nicht vorzuhaben, wie David Kirpatrick vom Fortune-Magazin zu berichten weiß:

Outsiders can now develop Internet services on Facebook’s infrastructure, he explains, that will have full access to all its members. Just as it is when someone writes a program for Windows, programmers won’t need any permission from Facebook or any special business relationship with the company.

Die Blickrichtung ist aber dennoch eindeutig formuliert. Es geht nicht darum, Facebookressourcen auszulagern. Oder habe ich das falsch verstanden?! Vielmehr möchte man ein riesiges Monster erschaffen, einen Flickenteppich sozialer Anwendungen. Fußnote an Endlich ist das Holtzbrinck-Ghetto StudiVZ gerettet. Man wartet noch eine Weile, bis Gras über die letzte Hanebüchen-Aktion von vorgestern gewachsen sein wird, und dann startet man durch, mit neuem Zuckerwasser im Tank. Was Facebook kann, konnte StudiVZ doch auch, oder?! Fußnote aus Jedenfalls sehe ich zum einen Facebook nun in der Lage respektive die Benutzer, die freien Programmierer, die sich nun darum bemüht machen werden, das akademische Feld zu revolutionieren. Ein virtueller Hort von Studierenden kann doch nicht nur die Unterhaltung ausleben, sondern gleichzeitig das wissenschaftliche Arbeiten revolutionieren wollen?! Oder bin ich wieder zu naiv und unterstelle den Studenten eine gewisse Neugierde auf Wissen?! Holtzbrinck investiert in Lovelybooks und ein ursprünglich im universitären Sektor gestartetes Projekt “Buchpfade” prostituierte sich. Die Volltextrecherche von Google zeigt mehr akademische Ambition als solche semi-seichten Unterhaltungs-Netzwerke. Facebook hat zur Präsentation bereits eine Anwendung vorgestellt und weitere bald in Aussicht gestellt. Das Portfolio von Zusatzprogrammen allerdings scheint eher den Unterhaltungssektor zu stärken:

Beginning Thursday night, Facebook announced that users will be able to equip their profiles with 65 new services, including photo slide shows (Slide), a music recommendation service (iLike) and a music player (Uber). A new video application will allow Facebook users to send video messages directly to friends within Facebook.
CNet

Wird jetzt alles anders?! Wir werden sehen. Doch noch immer sind wir von dem Bild des Legosteins nicht wieder fort. Ich bin nicht der Auffassung, dass Facebook ein Legostein sein möchte. Viel eher möchte es ein Fundament sein. Eine Bauplatte, auf der Handlanger sich die Finger schmutzig machen, indem Sie die Steine für’s Schloss herbeitragen. Facebook schmiert die Fugen und spritzt das Silikon. Adlerauge sei wachsam. Wir werden das Projekt beobachten. Der Ansatz ist generell zu begrüßen, und offiziell heißt es (noch?), dass Zuckerberg den Applikationsentwicklern sogar zugesteht, Geschäfte über ihre eigenen Applikationen zu entwickeln. Lediglich der zuletzt genannte Aspekt der Freiheit eigene Geschäfte abzuwickeln und sogar eigene Werbung in die Applikationen zu integrieren ist neuartig. Es bleibt die Frage, warum gerade jetzt? – Unbestätigten Angaben zufolge ist der größte Konkurrent auf diesem Bereich, verglichen anhand der Nutzerzahlen ungefähr drei bis vier Mal so groß wie Facebook. Und MySpace hat schon lange vorher eine API angeboten, um Anwendungen für das System zu entwickeln. Allerdings dürfen die Programmierer hier (noch?) keine Geschäftsideen verwirklichen wollen. So berichtet es auch CNet (engl.). MySpace ist im Prinzip nur einige Monate jünger und hat demnach in derselben Zeitspanne weitaus mehr Nutzer an sich gebunden, die zudem länger im System verweilen.

Je mehr man sich einliest, desto unübersichtlicher wird es. Microsoft, heißt es bei Kirpatrick, hätte bereits mit PopFly eine Schnittstelle eingerichtet, die es Entwicklern unter Microsoft-Entwicklungsumgebungen ermöglichen soll, bei der Programmierung von Anwendungen die Funktionalität von Facebook auszuschöpfen (vgl. Fortune, engl.). Also geht die Blickrichtung doch bidirektional?! Trotz der Skepsis, die man hegen kann: Einige der ersten Entwickler (Green und Parker vom Projekt Agape, engl.), die bereits Anwendungen für Facebook vorgestellt haben, geben als Grund für ihr Engagement in der Abhängigkeit an:

Facebook has a huge and active user base (20 million users, each viewing 50 pages daily on Facebook), and they are a demographic that is highly likely to want to become involved actively in causes they believe in.
Techcrunch

Quo vadis, Facebook? Manche sprechen von Social Software, andere doch wieder nur vom Olymp der sozialen Netzwerke. Es wird Zeit für eine neue Web-Revolution. Soziale Netzwerke gehören immerhin fast schon zum alten Eisen. Jeder weiß mittlerweile, wie der Hase hoppelt. Copycats können in der Regel nur noch als Sammelbecken für Nischenkundschaft dienen, für scharf trennbare Nutzergruppen. Es liegt nicht wirklich fern, dass nun Synergieeffekte ausgenutzt werden. Mehrwert wird erzeugt und auch abgeschöpft. Wenn dann die Leute auch diesen bis zum Exzess genossen haben werden, wird der Raum ein kreatives Vakuum schaffen, das implodiert und eine neue Generation von Webanwendungen kreiert. Die Versionsbezeichnung wird wegfallen, weil 3.0 zu sehr an das erinnert, was davor war. Das Neue aber, es wird anders sein und deswegen wird es vielleicht auch bedeuten: weg von den Ziffern, hin zu einer intuitiven Namensgebung. Wie wäre es, wenn wir im nächsten Level nicht mit Buchstaben und Ziffern etikettieren, sondern mit Farben und Tönen?! Alternative Eingabemethoden kombiniert mit vollständig neuen Navigationsmöglichkeiten. Dahin wird der Weg gehen. Just my 2c.


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