Frau Dingens: Denn das Internet verletzt

Alexander Trust, den 6. Januar 2015
Twitter Fail-Whale
Twitter Fail-Whale

Dass Öffentlichkeit Verantwortung mit sich bringt, schildert Mina bei Frau Dingens. 1000 Follower bei Twitter seien eine Hürde gewesen, die den eigenen virtuellen Rückzugsort entfremdet hätte. Fortan ist es für sie nicht mehr möglich, virtuell verletzlich sein zu können.

Zum Glück nimmt mir die Kommentatorin, Robin Urban, die Worte vorweg und spricht von einer Schere im Kopf als Einschätzung auf den leicht maladen, melancholischen Einlass von Mina.

Meinungshoheit und Meinungsvielfalt

Doch Urban geht noch weiter und erklärt, sie selbst habe bereits erfahren, dass es völlig unwichtig sei, was man schreibe, weil einem prinzipiell „ALLES“ negativ ausgelegt würde. Das ist eine stark verkürzte Darstellung der Realität, aber trotzdem eine zutreffende Einschätzung. Rein statistisch wird in Kommentaren im Internet immens häufiger kritisiert als gelobt. Doch das ist kein Problem des Internets. Denn diese Gemengelage kennen wir bereits aus dem Alltag.

Die vermittelte Kommunikation im Internet stellt jedoch einen besonderen Kontext dar, in dem Differenzen besonders schnell äußerst augenfällig werden und im Rahmen von schrift-vermittelter Kommunikation steht jedem Leser oder jeder Leserin eine ihm oder ihr eigene Deutungshoheit zu. Diese Meinungshoheit ist legitim. Nüchtern betrachtet handelt es sich dabei trotzdem um eine Meinungsvielfalt.

Welche Meinung man sich bildet, hängt stark vom eigenen Selbst oder besser Selbstbewusstsein ab. Dieses ist geprägt durch die (sprachliche) Sozialisation, die man erfahren hat. Missverständnisse sind vorprogrammiert und für manche Theoretiker sogar erst die Grundlage von Kommunikation.

Smileys, die man Neudeutsch Emoticons nennt, wurden nicht umsonst in die vermittelte Online-Kommunikation eingeführt, weil gegenüber der herkömmlichen Kommunikation Aspekte fehlen, die ebenfalls Sinn stiftend sind (Augenkontakt, Lächeln, Stimme, Körpersprache, etc.).

Kontroversen sind Kinderkram

Noch heute kämpfe ich täglich in den Online-Medien, für die ich mal mehr, mal weniger anonym publiziere, mit den Kommentatoren auf den Webseiten und in den Social-Media-Kanälen um die (eigene) Deutungshoheit. Während ich früher auf dem Pausenhof nicht sagen konnte, dass mir die Meinung anderer egal war, lehrte das Internet mich diese Lektion Jahre später, obwohl das Leben solche Lehren auch außerhalb von Netzwerken für einen bereithalten kann.

Als Sajonara vor Jahren für Aufmerksamkeit sorgte und in den Top 100 der Deutschen Blogcharts (die es heute nicht mehr gibt) landete, gab es viel Feind und etwas weniger Ehr. Das hat sich bis heute nicht geändert. Nur ich habe mich geändert. Denn tatsächlich bin ich etwas geworden, was im Internet wichtig und richtig ist: arrogant. Das gesunde Selbstbewusstsein ist in Gegenden, in denen Säue durchs Blogdorf getrieben werden und fast täglich Shitstorms die Wetterlage bestimmen, so unerlässlich wie Sonnenschutz in Australien.

Marshall McLuhan hat vielleicht nicht so weit gedacht, doch Vertreter seiner Ideologie wie Lev Manovich würden mir heute zustimmen, dass das Internet nicht nur die Kommunikation beschleunigt hat, sondern gerade deswegen der Grund dafür ist, dass wir so häufig Kontroversen erleben. Rhetorik ist in Zeiten von WhatsApp und Twitter kaum möglich, aber die Erwartungshaltung von Kommunikationspartnern in diesem Internetz zwingt uns viel zu oft dazu, unbedachte Äußerungen zu tätigen. Es bleibt oft keine Zeit, über Dinge nachzudenken. Doch gerade die Häufung von Kontroversen sorgt bereits mittelfristig dafür, dass man sie getrost als Kinderkram abtun kann, wenn man ihnen auch anfangs sehr viel mehr Bedeutung beigemessen hat.


Ähnliche Nachrichten