Wieso der Pro-Sieben-Chef über Fernsehzuschauer lästern darf

Alexander Trust, den 17. November 2017
Fernseher
Fernseher, Bild: CC0

Pro-Sieben-Chef Thomas Ebeling nennt seine Zuschauer „fettleibig“ und „arm“. Nun muss er um seinen Job fürchten. Denn getreu dem Motto „der Kunde ist König“ könnte der Aufsichtsrat den höchsten Mann im Unternehmen von seinen Diensten freistellen. Lästern darf dieser aber doch trotzdem, oder?

Die Unterhaltungsindustrie ist genau das, was ihr Name verspricht. Als Quasi-Dienstleistungsunternehmen fühlt sie sich der Quote verpflichtet. Da die neuen Influencer von YouTube und anderswo aber dem TV-Medium sukzessive den Rang in der Bedeutungshoheit ablaufen, werden mittlerweile sogar Nackedeis in einem FKK-Märchen auf RTL gezeigt, nur damit die „Quotenkönige“ doch bitte wieder einschalten. Das Privatfernsehen hat ein Gla

ubwürdigkeitsproblem, für das es dank Scripted Reality auch noch selbst Schuld ist.

Pro-Sieben-Zuschauer sind „fettleibig“ und „arm“

Die Wahrheit ist, zumindest laut Pro-Sieben-Chef Thomas Ebeling, dass einige der Pro-Sieben-Zuschauer „fettleibig“ und „arm“ seien. Die Wahrheit ist aber, RTL, RTL 2 und andere Sender besitzen derlei Zuschauer ebenfalls.

Darf Ebeling so etwas sagen? Den Kunden stößt er auf diese Weise vor den Kopf. Recht hat er trotzdem. Denn: Studien, Statistiken und Erhebungen bestätigen das Urteil des Pro-Sieben-Granden. Junge und aktive Menschen bevorzugen nämlich das Internet und die Influencer dort als mediale Kanäle. Die werden unterstützt von – überspitzt formuliert – den Arbeitenden, die keine Zeit fürs TV haben, den Gebildeten, die keine Zeit fürs TV haben wollen, den Alten und den Kranken, die lieber zum öffentlich-rechtlichen Angebot greifen. Wer bleibt dann noch fürs Privatfernsehen? Richtig: die Dicken und die Doofen.

Die Frage ist vor diesem Hintergrund nicht, in welchem Umfang, sondern nur, wie viele Zuschauer Ebeling den Sender durch diese Aussagen gekostet haben wird. Die Antwort einer umfassenden Analyse wird womöglich lauten: vermutlich keine.

Der Kunde ist König, aber muss das so sein?

Das Privatfernsehen hat vor über 30 Jahren einen Trend angeschoben: Die Jagd nach der Quote. Das ist umso trauriger, da damals das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in erster Linie einen Bildungsauftrag hatte, sich seither aber ebenfalls dem Credo „der Kunde ist König“ angeschlossen hat. Statt den Oberlehrer zu mimen, geben die Rundfunkanstalten einfach klein bei und versuchen sich darin zu überbieten, was gezeigt werden darf. Das Resultat? Der gesellschaftliche Ungehorsam. Der Erfolg ist aber für Personen mit Realitätssinn abzusehen. Meiner Meinung nach ist Thomas Ebeling jemand mit diesem Sinn für die Realität, weil er sagt, was er denkt. Da er aber seine Landsleute kritisiert, kann er schlecht reflexartig in die rechte Ecke geschoben werden.

Dem Fernsehen laufen die Zuschauer weg, weil man auf den Kunden hört

Mehr Angebot sorgt aber unweigerlich dafür, dass die Aufmerksamkeit der Gesamtheit der Zuschauer weiter aufgeteilt wird. Neben dem TV gibt es das Internet. Statt aber der Wahrheit ins Gesicht zu blicken, stellt man Jahr für Jahr fest, dass immer weniger Nutzer einschalten. Weil man aber per Definition die Schuld nicht beim Kunden suchen darf (der ist ja König), wirken die Erklärungsversuche halbgar und sind immer irgendwie an der Realität vorbei. Denn: Es sind nicht nur die Jungen und die Aktiven, die das On-Demand-Angebot im Internet für sich entdeckt haben. Es sind auch die politisch nicht Korrekten, die es als viel bessere Plattform zur Meinungsmache erleben, weil ja das Fernsehen zum Konglomerat der Lügenpresse gehört. Es sind genauso diejenigen, die sich im Internet auf die Suche nach dem verloren gegangen Bildungsauftrag machen, weil neben Helene Fischers Singsang und Thomas Gottschalks humanistischen Idealen nur noch Budget für den Volkssport Fußball und C-Promis übrig blieb. Und das Internet finden aber noch ganz andere Zielgruppen toll.

Diese alle hat das Fernsehen vergessen. Warum? Weil es bei seiner verbissenen Analyse der Quote außer Acht ließ, dass selbst der „gemeine Zuschauer“ sich weiter entwickelt und dass derjenige schon verloren hat, der es immer allen Recht machen will. Indem das Fernsehen die Quote zum unabdingbaren Prinzip erklärte, schafft es sich selbst quasi ab. Das ist übertrieben, aber hat einen wahren Kern.

Die Wahrheit tut weh und die Zukunft ist jetzt

Ebeling jedenfalls sagt die Wahrheit (vielleicht hätte er sie anders formulieren können). Die ist anstrengend, für alle Beteiligten. Die Zuschauerzahlen kommen mir vor wie ein Börsenkurs und die TV-Macher wirken hilflos. Sie können sich nicht erklären, warum der Kurs seit Jahren in den Keller wandert, obwohl sie doch alles probieren, um den Zuschauer glücklich zu machen. Aber genau darum geht es gar nicht. Es geht vielmehr darum, dem Kunden etwas zu geben, von dem er noch nicht weiß, dass er es unbedingt braucht. Diese geheime Formel unterscheidet das Fernsehen von heute von erfolgreichen Unternehmen dieser Zeit und vergangener Tage. Blöd nur, dass gerade diese erfolgreichen (Technologie-)Konzerne nun auch in die Unterhaltungsbranche streben: Amazon, Netflix, Apple und andere werden über kurz oder lang der neue Chef sein in der Manege des Medienzirkus. Wer aber weiterhin für die „Dicken“ und „Doofen“ Fernsehen machen möchte, der wird dann aufs Abstellgleis ins Gruselkabinett geschoben.


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